Die Situation eines Kranken gleicht in vieler Hinsicht der eines Menschen, der über längere Zeit hinweg nur auf einem Bein steht. Nach einiger Zeit verkrampfen sich seine Muskeln, das belastete Bein beginnt zu schmerzen. Er ist kaum in der Lage, das Gleichgewicht zu halten. Doch nicht nur das Bein schmerzt, die gesamte Muskulatur beginnt sich in dieser ungewohnten Haltung zu verspannen und zu verkrampfen. Der Leidensdruck wird unerträglich, der Mensch schreit um Hilfe.
Die Helfer eilen herbei, und während er weiter auf dem einen Bein stehen bleibt, beginnt ein Helfer, das belastete Bein zu massieren. Ein anderer nimmt sich die verkrampfte Nackenpartie vor und walkt sie nach allen Regeln der Kunst durch. Ein dritter Helfer sieht, daß der Mensch sein Gleichgewicht zu verlieren droht, und bietet ihm seinen Arm als Stütze an. Von den Umstehenden kommt der Rat, der Mensch solle vielleicht seine beiden Hände zu Hilfe nehmen, damit ihm das Stehen nicht mehr so schwer falle. Ein weiser alter Mann schlägt vor, er solle daran denken, wie gut er es eigentlich habe, wenn er sich mit Menschen vergleicht, die überhaupt keine Beine besitzen. Beschwörend redet einer auf ihn ein, er solle sich vorstellen, er sei eine Feder, und je intensiver er sich darauf konzentriere, um so mehr würden seine Leiden nachlassen. Ein abgeklärter Arzt setzt wohlmeinend hinzu: "Kommt Zeit, kommt Rat."
Schließlich geht einer der Zuschauer auf den Leidenden zu und fragt: "Warum stehst du auf einem Bein? Mach doch das andere gerade und stelle dich darauf Du hast doch ein zweites Bein!"
Unterdrückte oder einseitig überbetonte Fähigkeiten sind eine Quelle von Streß und Konflikten, die zu seelischen und psychosomatischen Störungen führen können. Die Konflikte lassen sich jedoch lösen, wenn wir erkennen, daß sie im Laufe unserer Lebensgeschichte entstanden sind und deshalb kein notwendiges und unausweichliches Schicksal sein müssen, sondern Probleme und Aufgaben, die wir zu lösen versuchen können.
Peseschkian