In einem Land weit von uns entfernt, genannt das Flächenland, sind die Einwohner Dreiecke, Vierecke, Fünfecke, Sechs-, Sieben-, Acht- und-so-fort-Ecke. Je reifer, man kann auch sagen: je weiser die Einwohner waren, um so vielfältiger waren ihre Ecken. Nach den Vielecken waren die Kreise die am höchsten entwickelten Einwohner dieses Landes.
Eines Morgens erzählt ein Vieleck, das ein Dreieck unterrichtet: "Weißt du, ich hatte heute nacht einen ganz schlimmen Traum. Ich träumte ich sei als Lehrer im Linienland tätig.
In diesem Land gibt es nur Punkte und Linien, gerade, krumme, lange und kurze. Diesen Einwohnern sollte ich Geometrie beibringen. Es war schrecklich!
Solange ich von Winkeln und Geraden gesprochen habe, waren sie aufmerksam und lernbereit, aber jedesmal, wenn ich von Flächen gesprochen habe, haben sie entweder ungläubig geschaut oder gelacht, weil sie mich für ein wenig verrückt hielten. Es war ihnen einfach nicht zu erklären. Schließlich kam ich auf die grandiose Idee und sagte, schaut mich an. Ich bin eine Fläche!"
Was soll ich dir sagen, es war zum Verzweifeln sie konnten mich nur von der Seite sehen, und so sahen sie nur eine Linie. Mit all meinen Fähigkeiten konnte ich sie nicht dazu bringen, sich vorzustellen, daß es Flächen gibt, oder zumindest geben könnte. So wurde ich als heilloser Spinner verjagt und verfolgt. Schweißgebadet bin ich aufgewacht, und wie froh war ich, in unsere Realität zurückzukehren.
Das Dreieck hatte sehr aufmerksam zugehört. "Das war sicherlich eine schreckliche Situation, die Sie im Linienland erlebt haben. Aber - mir kommt da gerade so ein Gedanke - wenn es ein Linienland und ein Flächenland gibt, vielleicht gibt noch ein Land mit einer dritten Dimension?"
Darauf antwortete das Vieleck sehr bestimmt: "So einen Blödsinn habe ich noch nie gehört. Bleib´ bitte auf dem Boden der Tatsachen und unserer exakten Wissenschaften, und die haben eindeutig erwiesen, daß es so etwas, wie eine dritte Dimension nicht gibt.!" Das Dreieck sagte nichts mehr und dachte sich seinen Teil. Die Stunde war damit zu Ende und beide gingen nach Hause. Auf dem Heimweg sah das Vieleck auf einmal neben sich einen Kreis. Das war an sich nichts besonderes im Flächenland. Aber dieser Kreis war anders. Er wurde größer und kleiner, manchmal war er nur ein Punkt und von Zeit zu Zeit verschwand er plötzlich um dann wieder aufzutauchen. Das Vieleck hatte so etwas noch nie gesehen und traute seinen Augen nicht. Das konnte nur Spuk und Zauberei sein. Schließlich nahm es sich ein Herz und sprach dieses seltsame Gebilde an.
So kamen sie in ein Gespräch. Der Kreis erzählte, daß er eine Kugel sei, die aber in dem Flächenland nur als Durchdringung und damit als Kreis wahrzunehmen sei. Durch Auf und Abhüpfen im Raum sei er eben mal größer und auch mal ganz verschwunden. Das Vieleck kam aus dem Staunen nicht heraus. Trotz seines Daseins als Lehrer/Vorgesetzter hatte es diese Fähigkeit nicht verloren. "Das ist ja phantastisch. Eben noch habe ich das Dreieck beschimpft, weil es die Phantasie hatte, sich so etwas, wie einen Raum vorzustellen, und jetzt erlebe ich es neben mir leibhaftig. Es gibt tatsächlich neben den Linien und den Flächen noch den Raum. Wenn es denn eine, zwei und drei Dimensionen gibt, könnte es nicht sein, daß es noch etwas darüber hinaus, so etwas wie eine vierte Dimension gibt?"
Darauf antwortete die Kugel in einem leicht gereizten Ton: "So einen Blödsinn habe ich noch nie gehört!"
nacherzählt von Jens Hennings