Ein Kalif lag sterbenskrank in seinen seidenen Kissen. Die Hakims, die ärzte seines Landes, standen um ihn herum und waren sich einig, daß nur eines dem Kalifen Heilung und Rettung bringen kann: das Hemd eines glücklichen Menschen, das dem Kalifen unter den Kopf gelegt werden müsse.
Boten schwärmten aus und suchten in jeder Stadt, in jedem Dorf und in jeder Hütte nach einem glücklichen Menschen. Doch alle, die sie nach ihrem Glück fragten, hatten nur Sorgen und Kummer. Endlich trafen die Boten, als sie ihre Hoffnung schon aufgeben wollten, einen Hirten, der lachend und singend seine Herde bewachte. Ob er glücklich sei? »Ich kann mir niemanden vorstellen, der glücklicher ist als ich«, antwortete der Hirte lachend. »Dann gib uns dein Hemd«, riefen die Boten. Der Hirte aber sagte: »Ich habe keins.« Diese dürftige Botschaft, daß der einzige glückliche Mensch, den die Boten trafen, kein Hemd hatte, gab dem Kalifen Anlaß nachzudenken. Drei Tage und Nachte ließ er niemanden zu sich kommen. Am vierten Tage schließlich ließ er die seidenen Kissen und seine Edelsteine unter dem Volk verteilen, und wie die Legende erzählt, war der Kalif von diesem Zeitpunkt an wieder gesund und glücklich.
(Orientalische Geschichte)